Sonntag, 1. Juni 2008

Politischer Sonntag

Eine Eigenheit der Schweizer Demokratie ist die mehrmals jährlich stattfindende Befragung des Souveräns, also der Bevölkerung, in groß angelegten direkten Abstimmungen zu verschiedenen Themen. An diesem Sonntag sind einige bedeutende Entscheidungen gefallen.
Pünktlich zur Europameisterschaft mit den zu erwartenden internationalen Gästen hatte die SVP eine Initiative zur Einbürgerung gestartet. Die Plakate dafür zeigten eine Kiste mit roten schweizer Pässen, in die mit unterschiedlich farbigen Händen wild hineingegriffen wurde. Darüber wie gestempelt ein großes "STOPP". Die SVP wollte das Einbürgerungsverfahren wieder durch den Urnengang in den einzelnen Gemeinden entscheiden lassen, wodurch das Stimmvolk "nach Nase" des Bewerbers entscheiden konnte, nachdem sich dieser den Gemeindemitgliedern (also seinen Nachbarn) mit Schweizerdeutschkenntnissen, Vermögensvererhältnissen u.ä. vorzustellen hatte. 2003 wurde dieses Verfahren wegen seiner Willkürlichkeit vom Schweizer Bundesgericht für verfassungswidrig erklärt und die Einbürgerung den Verwaltungen der einzelnen Kantone übergeben, so daß ein durchsichtiges nachvollziehbares Reglement für die Einbürgerung entstand. Offenbar gab es anschließend eine Einbürgerungswelle, in welcher viele lang anhängige Verfahren abgeschlossen wurden. Die SVP schürte die sowieso stets vorhandene Angst der Schweizer vor Überfremdung und wollte das Einbürgerungsverfahren wieder dem Stimmvolk übergeben. Erstaunlicherweise hat dieses heute mit 64% gegen die Initiative und für die Beibehaltung der Einbürgerung durch die Verwaltungen entschieden!

Vor solchen Abstimungen erhält man von jeder politischen Partei und auch einigen anderen Gruppierungen mit Argumenten zum Thema und Empfehlungen, wie man abstimmen sollte. Eigentlich eine gute umfassende Information, aber auch eine Papierflut und eine Beeinflussung der Wähler. Auch gegen diese Vorabinformation gab es diesmal eine Initiative, um den Wähler unbeeinflußt und in den meisten Fällen auch allein zu lassen. Nicht jeder ist immer persönlich von den Abstimmungen betroffen und weiß daher überhaupt, worum es geht... Aber auch gegen diese Initiative und für weitere Informationen haben die Schweizer gestimmt.

Dann gab es einige kantonale Fragen, in denen zum Beispiel die Einwohner des Tessin gegen eine weitere Senkung ihrer Steuern gestimmt haben (sie haben bereits die drittniedrigsten in der gesamten Schweiz). Finde ich immer besonders witzig, über die Höhe der eigenen Steuern abzustimmen. Und nicht selten sind die Schweizer so vernünftig, sich die eigenen Steuern zu erhöhen...

Es wurden auch wieder große Neubauprojekte vor das Stimmvolk gebracht, dabei darf eigentlich nicht über die Entwürfe abgestimmt werden, sondern über die Bewilligung der Summe, die die Stadt/der Kanton für die Projekte ausgibt. So wurde im September aber auch der Neubau des Basler Stadtcasinos durch Zaha Hadid vorranging wegen Nichtgefallens abgeschmettert. Heute haben Basel und Zürich über das neue Messegebäde von Herzog-de Meuron in Basel und das neue Züricher Kongresshaus von Rafael Moneo abgestimmt und das ganz klischeetypisch. Zürich, wo seit 1939 kein aufsehenerregender Neubau mehr realisiert wurde, mal wieder gegen ihr Projekt; Basel, ein Mekka für Architekten, mal wieder dafür!
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