Freitag, 15. Februar 2013

Leben vor dem Zug

Wenn man täglich eine lange Strecke pendelt, dann stellen sich Rituale ein. Meist nehme ich denselben Zug am Morgen, am Abend wähle ich zwischen dreien. Ein typischer Pendlermorgen läuft folgendermaßen ab. Auch wenn ich unterschiedlich früh aufstehe: Ich nehme stets dasselbe Tram um 7:19 Uhr. Drei Stationen weiter steigt eine junge Frau ein, die mit mir bis auf den Zürcher Hügel fährt. Am Bahnhof ausgestiegen muss der Bahnhofsvorplatz überquert werden. Dafür positioniert man sich bereits im Tram günstig, um weniger Trödler auf dem grossen Platz überholen zu müssen. Es folgt das unendlich schmale Nadelöhr des Bahnhofseingangs. Die Deutschschweiz und insbesondere da Städteviereck Basel Bern Luzern Zürich ist wegen der Nähe der Städte (je etwa 1 Stunde Entfernung) und der sehr guten Schweizer Bundesbahn (recht pünktlich und in gutem Takt) eine Pendlerhochburg. Ganze Pendlerströme werden an den Bahnhöfen ausgespuckt und wollen gleichzeitig hinein. Auch wenn ich mit großen Schritten und langen Beinen meine iphone-fummelnden Mitmenschen gern überhole, am Eingangsportal des Bahnhofs ist es angebracht, hinter einer grossen energischen Person zu laufen oder sogar hinter einer Gruppe. So spare ich mir die Ausweichmanöver mit denjenigen, die den Bahnhof gerade verlassen. In der Bahnhofshalle treffe ich, wenn ich spät dran bin, die Chorfreundin. Habe ich die Halle durchquert und bin an der Rolltreppe angekommen kann ich wieder Fahrt aufnehmen und auch das menschliche Schutzschild wieder überholen. Nachdem die SBB mit verschiedenen Aktionen darauf aufmerksam gemacht hat, wie man Rolltreppen in einer Großstadt benutzt (also rechts stehen, links gehen), klappt das Überholen auf den Rolltreppen meistens wunderbar. Die Schweizer Bundesbahn hatte dafür an mehreren Morgenden beschriftete Kekse verteilt, ausserdem wurden die Handläufe der Rolltreppen farbig gestaltet und beschriftet. Die rechten Handläufe rot, die linken grün. In mehreren Sprachen stand "stehen" auf den roten Handläufen "gehen" auf den grünen. Nicht nur in den vier Landessprachen, auch auf Englisch, mit chinesischen und japanischen Schriftzeichen. Insgesamt leider zuviel Informationen für morgens um 7 im Pendlerstreß... Diese Taktik war auch nur circa 2-3 Wochen aktuell. Erstaunlicherweise funktioniert es im Berufsverkehr nun halbwegs. Auf der Passarelle angekommen treffe ich, wenn ich im Zeitplan bin, die Chorfreundin. Dann kann man sogar einen Satz wechseln. Auch die Passarelle ist eng, hier herrscht aber eine Art Linksverkehr vor, was die Koordination von kommenden und gehenden Pendlern erleichtert. Zwei Abgänge führen auf den Bahnsteig. Der rechte liegt günstiger. Falls der Zug aus Zürich noch nicht eingetroffen ist, kann man ohne entgegenkommende Pendler die sehr schmale Treppe hinablaufen und sich mit den altbekannten anderen Pendlern auf dem Bahnsteig positionieren. Ich gehöre zu der Gruppe, die stets in den vorletzten Wagen steigt, die junge Frau geht irgendwo in die Mitte, sie werde ich erst in Zürich im Bus wiedersehen. Die Mitte ist mir zu voll, der letzte Wagen wird häufig für Schulklassen reserviert, daher ist der vorletzte Wagen perfekt für mich. Dann kommt die erste entspannte Phase des Tages. 50 min bis Zürich.
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Berlin, Basel und ich

Ein Berliner in der Fremde

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