Grenzgeschichten

Freitag, 5. September 2008

Von Zahnersatzexporten und Villen aus Zahngeld

Kranke Schweizer haben höhere Kosten als kranke Deutsche, dafür haben gesunde Deutsche höhere Kosten als gesunde Schweizer. In der Schweiz kann man sich seine Versicherungsbeteiligung in gewissem Rahmen selbst aussuchen. Das bedeutet, daß man unter Umständen sehr niedrige Monatsbeiträge leisten muß, dementsprechend bei Arztbesuchen einen hohen Selbstkostenanteil trägt oder umgekehrt. Dieser wird bei Abschluß der Versicherung festgelegt und kann mehrere Tausend Franken umfassen. Die Idee wie in Deutschland zum Arzt zu gehen und nichts zu zahlen (okay, die Praxisgebühr existiert ja immer noch) gibt es in der Schweiz nicht. Zudem kann man sich seinen Arzt auch nur in sehr geringem Umfang selbst aussuchen und dann nicht so leicht wechseln, wie das in Deutschland der Fall ist. Noch schlimmer in Frankreich. Meine französischen Kollegen sagten mir, daß die Patienten in guter französischer Tradition den Ärzten zentral zugeteilt würden. Undenkbar für uns, oder?
Bei Zahnarztbesuchen ist der Unterschied Schweiz-Deutschland besonders deutlich. Die gesetzliche Krankenversicherung übernimmt in der Schweiz keine zahnärztlichen Leistungen. Wenn wir Deutschen uns über die Zuzahlungen zum Zahnersatz aufregen, so müssen Schweizer, die zur gesetzlichen Versicherung keine Zusatzversicherung abgeschlossen haben, die gesamten Kosten für Brücken u.ä. selbst zahlen!
Glücklicherweise ist man beim Arbeitgeber und nicht am Wohnort versichert, daher habe ich höhere monatliche Kosten, muß aber für meine zerbröselte Füllung nicht plötzlich die Weihnachtsgeschenke für die Familie streichen. Ich gehe also auch in Deutschland zum Arzt. Das kleine Städtchen Weil am Rhein wimmelt gerade so vor Zahnärzten. Sie residieren häufig in großzügigen Villen mit kiesbelegten Einfahrten und einer kleinen Baumallee auf das Haus zuführend. Die wenigsten haben Sprechstundenzeiten, die meisten arbeiten "nach Vereinbarung". In manchen Praxen sagt man am Empfang ganz offen, daß nur Patienten aus der Schweiz aufgenommen werden. Ich ahne, wie es zu diesen Zahnarztvillen kommt, schließlich sind die Schweizer hier so einträglich wie Privatpatienten und Basel bietet ausreichend Klientel, welches seine dentalen Probleme ins Nachbarland exportiert, weil wahrscheinlich vor allem die Protesen u.ä. um einiges preiswerter sind als zuhause. Ich habe es trotzdem in eine solche Praxis geschafft und durfte bei der Behandlung von meinem Stuhl im Erker des Erdgeschosses in den parkarigen Garten und auf den Springbrunnen unter alten Nußbäumen schauen. Wenn ich da an das infantile Deckenbild meiner Köpenicker Dentistin denke... Trotzdem: Zahnarztbesuch bleibt Zahnartzbesuch.
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Donnerstag, 28. August 2008

baiser, bise, bisou

Mal eine Grenzgeschichte aus Frankreich. Als eifriger Karabolage-Gucker und Dreiländereckbewohner habe ich nicht nur Interesse an deutschen und schweizerischen Eigenheiten, auch das dritte Land 1 km von mir beschäftigt mich ab und an. Sowohl in der Schweiz als auch in Frankreich wird zur Begrüßung nicht die Hand gegeben oder ohne Körperkontakt eine Grußformel gebrubbelt wie in Deutschland, nein, man durchbricht die persönliche Individualdistanz des Gegenüber. Aber nicht für eine Umarmung!!! Auch unter Freunden ist eine Umarmung, obwohl in Deutschland selbstverständlich, in der Schweiz eher unüblich. Der Schweizer Freund hat sich oft genug darüber beschwert. Nein, stattdessen nähern sich die Köpfe und man küßt. Links, rechts (, links)! Auch völlig Fremde, wenn sie einem gerade erst vorgestellt worden sind! Unglaublich. Da kommen dann noch Feinheiten hinzu. Wie oft küßt man wen? In der Schweiz gewöhnlich 2-3 mal, anscheinend kann es in Frankreich sehr variiren und angeblich wissen nicht einmal echte Franzosen, wie man das genau zu handhaben hat, da es auch noch regionale Unterschiede gibt. Zumindest für die Grande Nation gibt es inzwischen eine Internetseite, wo man abstimmen und nachschauen kann, was im jeweiligen Departement üblich ist. Hier der Link. Aber, ich bin trotz großem Integrationswillen noch lange nicht soweit, jedweden einfach auf die Wange zu küssen und habe die Schweizer Freunde mehrheitlich zur Umarmung gebracht... Die armen erleben sowas einfach zu selten. Und die Fremden müssen sich bei mir vorerst mit nem Händedruck begnügen.
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Sonntag, 13. Juli 2008

national hier regional

Frankreich spielt in meinem Leben im Dreiländereck bisher eher eine untergeordnete Rolle. Wenn man mit dem Auto zu mir kommt und sich nur leicht verfährt, landet man schnell mal an einem Bienvenue-Schild, aber das passiert mir nun weniger. Sicher, im Museum merken wir die französischen Ferien deutlich und am Samstag sind in Basel die Geschäfte voller Frogs und ich habe auch schon Ausflüge ins Nachbarland unternommen. Bis auf die Tatsache, daß ich bei schlechtem Wetter ab und an in meiner Wohnung via SMS in Frankreich begrüßt werde (weil das Mobilnetz dann vom schweizer Anbieter zum französischen wechselt, ohne daß ich mich bewegt hätte), verdränge ich die Nähe zu Frankreich gewöhnlich ein wenig.
Gestern Abend aber, als wir in lustiger Plauderrunde bei mir saßen, fängt es draußen plötzlich zu knallen an. Klingt wie Feuerwerk. Ist auch eines, aber nicht wie gedacht über Basel sondern über St. Louis, der französischen Nachbarstadt. Dort wird am Montag der Nationalfeiertag (14.07.) begangen und anscheinend im Vorfeld schon mal ordentlich geknallt und das beste: Wir konnten es bequem von meinem Wohnzimmer aus verfolgen. Das nächste Feuerwerk ist dann erst wieder in zwei Wochen, zum Nationalfeiertag der Schweiz am 1. August. Was für 'ne kleine Welt!
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Freitag, 13. Juni 2008

Desinteresse

Früher Morgen, ich eile per Velo ins Museum und werde erstmals als Radfahrer vom deutschen Grenzer angehalten. Ausgerechnet heute habe ich meinen Personalausweis nicht dabei. Stattdessen zeige ich dem Beamten den Schweizer Ausländerausweis für dort lebende Staatsbürger Nichtschweizer Nationalität. "Normalerweise interessiert uns der herzlich wenig, aber gute Fahrt" meint er. Puh... Ich muß um pünktlich zur Arbeit zu erscheinen eben doch morgens mehr bedenken als Schlüssel, Geld und Fahrkarte...
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Dienstag, 13. Mai 2008

Krank

Da ich ja statt mit der Ausschüttung des heiligen Geistes an Pfingsten mit Stimmversagen bedacht worden bin, habe ich heute am Morgen einen Arzt aufgesucht. Zunächst die Überlegung: Wohin? Soll ich mir einen Arzt in Basel oder in Deutschland suchen? Ich kann ja nun auch in der Schweiz zum Arzt gehen, allerdings muß man die Behandlung normalerweise vorschießen, was aber wohl mit meiner Sonderlösung nicht so ist. Da ich aber eh noch Geld abheben und Lebensmittel einkaufen wollte, habe ich mich für Deutschland entschieden. Und dann? Wie sucht man sich einen Arzt aus? In Berlin waren es meistens ehemalige Komilitonen meiner Mutter, an die ich ohne eigenes dazutun vermittelt wurde. Zum Glück gab es in Weil nur zwei HNO-Ärzte, beide promoviert, also wählte ich den mit dem jünger klingenden Vornamen. In der Praxis dann die Überraschung, die erste Schwester wunderte sich nach Prüfung meiner Karte, daß ich noch nicht in der Kartei war, ich käme ihr so bekannt vor. Die zweite meinte, ob ich nicht der Enkel von irgendwem wäre. Und auch der Dr. war verwundert, daß meine Adresse Berlin sein solle, obwohl er den Eindruck hatte, mich schon einmal gesehen zu haben. Erst bei der Frage nach meinem Arbeitgeber, kamen wir darauf, daß ich die gesamte Praxis vor Weihnachten durch's Museum geführt hatte und promt bekam ich meine Medikamente aus seinem Schrank und mußte nicht zur Apotheke, weil die Führung ihnen so gut gefallen hätte...
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Sonntag, 20. Januar 2008

Dreiländerspaziergang

Nach der anstrengenden Museumsnacht (Führungen bis 2 Uhr und dann auch noch Tanzen) hatte ich zwei Beschlüsse gefaßt:
Zum Einen: Immer ein Feuerzeug oder (viel cooler!) Streichhölzer zum Tanzen mitzunehmen, um den zahlreichen Anfragen gerecht zu werden; zum Anderen: An meinem freien Sonntag absolut nichts zu tun.
Die herrliche Sonne und 15 Grad haben mir einen Strich durch die Rechnung gemacht und mich aus der Wohnung gelockt. Da es bereits Mittag war und ich aufgrund der Trinkgelder für meine brillianten Führungen mehr Euros als Franken im Portemonaie hatte, beschloß ich, nicht durch die Schweizer Berge sondern hinüber nach Frankreich zu wandern.
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Von meiner Wohnung aus war ich in 10 Minuten an der Grenze.
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Erst ging es am Rhein entlang nach Hunningue, einem kleinen sympatischen Ort mit einer im letzten Jahr entstandenen Fußgängerbrücke nach Friedlingen/Deutschland, die ich natürlich benuzen mußte,
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einem kleinen Marktplatz, wo ich ein paar Bananen und eine Dose (!) Eistee erstehen konnte,
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und einem reichlich schäbigen Häuschen, welches der letzte Aufenthalt von Madame Royal, der Tochter des hingerichteten Königspaares Ludwig XVI. und Marie Antoinette, in Frankreich war, bevor sie nach Österreich weiterreiste.
Ich wanderte nach einer kurzen Rast auf einem platanenumstandenen Platz nahe des Hotel de Ville nach St. Louis weiter, einer weiteren französischen Nachbargemeinde Basels. Aufgrund der langen Mittagsruhe in Frankreich hatte kein Restaurant geöffnet, nur ein Salon de Thé und ein Imbiß und da ich nach all der Lauferei ziemlichen Hunger hatte, gab es dann in letzterem einen hamburger avec frites. Von St. Louis ging es wieder "nach hause" in die Schweiz und so hatte ich in 3,5 Stunden vier Städte besucht, drei Staaten betreten und vier Grenzübertritte absolviert. Und all das zu Fuß!
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Freitag, 11. Januar 2008

Razzia-Nachtrag

Ich habe vergessen, eine vorweihnachtliche Begebenheit zu erwähnen, die sich dereinst in der Adventszeit des Jahres 2007 im kleinen süddeutschen Städchen Weil am Rhein zugetragen hat. Man muß sich vorstellen, daß der damalige Grenzverkehr zwischen Deutschland und der Schweiz zwar möglich war, aber durch die Überlagerung mit einer EU-Außengrenze doch strenger unter Beobachtung stand als in weiten Teilen Europas. Gleichzeitig gab es für bestimmte Waren oder Dienstleistungen in beiden Ländern ungleiche Entlohnungen, so daß die findigen Einwohner der Region dies jeweils zu ihrem Vorteile zu nutzen wußten, auch wenn dafür Gesetze übertreten wurden. So kam es, daß eigens in der Zeit der Päckchen und Pakete der Schweizer Zoll die Postfiliale des kleinen deutschen Städtchens stürmte, um all die an ihnen vorbeigebrachten Waren, die die Schweizer nur etwas billiger als Geschenk versenden wollten, beschlagnamten, wenn sie denn hätten verzollt werden müssen. Das taten sie auch, wenn die Pakete nur etwas preiswerter wieder in die Schweiz gesendet werden sollten. "Razzia in der Post" titelten die Tagblätter, woraufhin ich mir sofort Drogendealer, Prostituierte und allerlei Mafiosis in der kleinen Post vorzustellen begann.
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Freitag, 4. Januar 2008

Kurswechsel

Als Neujahrsgeschenk hat der Schweizer Franken im Vergleich zum Euro wieder an Wert verloren. So sehr, daß wir die Museumskasse heute umstellen mußten. Statt der bisher 60 Euro für 100 CHF zahlt man nun nur noch 55 Euro. Damit ist auch meine Miete wieder gesunken, denn ich verdiene Euro, das Museum zahlt nur auf ein deutsches Konto, die Miete und das Umweltabo werden in Franken fällig und ich habe am Monatsende eis bizeli gespart.
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Sonntag, 25. November 2007

unschuldig schuldig

Auf meiner täglichen Einreise nach Deutschland ist nicht nur der Busfahrer eine Attraktion. Manchmal wollen auch die Grenzbeamten das absichtlich unabsichtliche Wegschauen der Buspassagiere nicht hinnehmen und erzwingen sich Beachtung. Während also an den meisten Tagen der Bus am Zoll vorbeirollt, man ab und an einen verzweifelten Autofahrer (vorzugsweise jung, männlich und/oder mit nem VW Golf unterwegs) seine gesamte Habe auspacken sieht, haben auch wir immer mal Gelegenheit, uns irgendwie auf der Anklagebank zu fühlen. Die harmlose Variante ist die Ausweiskontrolle. Je nach Laune werde einzelne Ausweise einbehalten und ins Zollhäuschen mitgenommen, als Steigerung gibt es Fragen wie: "Ist Ihr Wohnsitz wirklich Berlin wie es auf dem Ausweis steht" (ich sage: ja), dann: "Was machen Sie in der Schweiz und warum fahren Sie mit dem Bus nach Deutschland" (meine Standartantwort: Freunde besuchen, einen Ausflug ins Museum machen). Find ich sehr unangenehm und obwohl ich nichts verbrochen habe, fühle ich mich unendlich schuldig. Neulich saß eine Kollegin neben mir, die ich morgens in Basel getroffen hatte. "Kennen Sie sich?" Ich sage ja und merke, wie sie zögert und es ihr unangenehm ist. Da wir als einzige Fahrgäste aber nebeneinander im Bus sitzen, wäre nichts anderes glaubwürdig gewesen... Vorgestern zieht ein Beamter nach der Kontrolle der Ausweise aller Männer um die 30 einen Typ aus dem Bus und seine Kollegin untersucht ausgibig den verlassenen Sitzplatz durch drunterschauen, in die Ritzen greifen usw.
Man kann was erleben im Bus nach Deutschland.
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Samstag, 3. November 2007

Trennungen

Es kann einen irre machen. Ich arbeite in Deutschland, lebe in der Schweiz. Überall produziere ich Müll (ja, leider) und überall muß man den Müll trennen (ist ja okay eigentlich), aber unterschiedlich. Ich kann einfach nichts mehr automatisch wegwerfen. Ich muß mir immer bewußt machen, nach welchem System ich gerade trennen muß. So viel Aufmerksamkeit für Alltägliches verwenden zu müssen, ärgert mich....
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Berlin, Basel und ich

Ein Berliner in der Fremde

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